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Special Issue zu Digitalisierung in ländlichen Räumen erschienen
Der Band 80 Nr. 3 von „Raumforschung und Raumordnung“ widmet sich „Chancen und Herausforderungen in ländlichen Räumen durch Digitalisierung“ und versammelt insgesamt acht aktuelle Beiträge zu theoretischen und konzeptionellen Perspektiven, methodischen Ansätzen sowie empirischen Forschungen, um Chancen und Herausforderungen von Digitalisierung in ländlichen Räumen zu diskutieren und zu systematisieren. Mit Ariane Sept und Gabriela Christmann als Gastherausgeberinnen und einem Beitrag von Nicole Zerrer, Ariane Sept und Gabriela Christmann bildet das Schwerpunktheft gleichzeitig den Abschluss des von 2019 bis 2021 durchgeführten Leitprojektes „Smart Villagers. Digitalisierungen und soziale Innovationen in ländlichen Räumen“.
Spätestens mit der COVID19-Pandemie ist die Bedeutung eines digitalen Instrumentariums, der entsprechenden technischen Ausstattung und der Fähigkeit, damit umzugehen, auch in ländlichen Räumen gestiegen. Neue Modelle für das Leben in ländlichen Regionen, die durch digitale Anwendungen ermöglicht werden, sind allerdings schon deutlich länger im Einsatz. Trotz der vielen Beispiele und der Dringlichkeit des Themas ist der akademische Diskurs jedoch deutlich weniger entwickelt als der in Politik und Praxis. Konzeptionelle Ansätze und die verwendete Terminologie sind noch immer unsystematisch. Das Schwerpunktheft leistet einen Beitrag dazu, diese Lücken zu schließen.
In der Zusammenschau der veröffentlichten Beiträge wird deutlich, dass die Potenziale der Digitalisierung für eine Belebung ländlicher Räume und das Gemeinschaftsgefühl im Dorf enorm sein können. Die Risiken und Herausforderungen sind dabei weniger technischer als vielmehr sozialer und organisatorischer Art. So ist beispielsweise das digitale Arbeiten im Dorf, sei es im Homeoffice oder im Coworking Space, zwar grundsätzlich möglich, kann aber erst dann zur Belebung der ländlichen Regionen beitragen, wenn Lebensmittelpunkte verlagert werden und auch sozialer Austausch in Dorfläden, Gemeinschaftsorten oder Vereinen stattfindet. Überhaupt kommt dem sozialen Zusammenhalt für eine positive Entwicklung ländlicher Räume eine besondere Bedeutung zu. Während die Beiträge einerseits zeigen, dass neue Möglichkeiten aufgrund von Digitalisierung und digitalen Tools nachbarschaftliche Kontakte und soziale Netzwerke stärken können, wird andererseits deutlich, dass weder soziale Ungleichheiten ausgeglichen noch analoge Beziehungen ersetzt werden können. Darüber hinaus – dies zeigen Nicole Zerrer, Ariane Sept und Gabriela Christmann in ihrem Beitrag – sind Digitalisierungsprozesse in ländlichen Räumen offenbar in der Lage, eine Dynamik auszulösen, die weit über ein ursprünglich geplantes Projekt hinausgeht und – zumindest mittelfristig – auch weitere Innovationen oder neue Lösungsmodelle digitaler und analoger Art nach sich zieht. Dabei sind solche Prozesse jedoch ebenso fragil wie die Selbstorganisation von Landbewohner*innen mittels digitaler Technologien. Sie bedürfen einer Kontinuität, die von den oft ehrenamtlichen Akteuren vor Ort nicht allein geleistet werden kann. Es braucht daher die Unterstützung seitens der öffentlichen Hand.
Neben aktuellen Herausforderungen und Potenzialen in ländlichen Räumen ergeben sich durch Digitalisierung aber auch neue Möglichkeiten und Schwierigkeiten für die raumbezogene Forschung. Insbesondere die Integration unterschiedlicher analoger und digitaler, quantitativer und qualitativer Daten und Methoden bietet neue Erkenntnismöglichkeiten ebenso wie Potenziale für die Beteiligung der Bevölkerung in ländlichen Regionen an Forschung und Wissensgenerierung. Gleichzeitig stellen sich neue Fragen, etwa zum Umgang mit großen Datenmengen und ihrer Archivierung.
Aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive zeugen die Diversität der gewählten Ansätze ebenso wie die Literaturanalysen von einem bisher recht übersichtlichen, aber dynamischen Forschungsfeld, dem es derzeit noch an klaren theoretischen Einordnungen fehlt. Gleichzeitig eröffnet sich die Chance, an aktuelle theoretische Debatten der Raumforschung anzuschließen. Die Beiträge des Schwerpunktheftes lassen zudem erahnen, dass die Durchdringung von digital und analog zu neuen räumlichen Arrangements führt. Offen bleibt bisher, inwiefern Digitalisierung die immer wieder proklamierten Stadt-Land-Unterschiede abmildern kann oder diese vielleicht sogar erhärtet. Eine stärkere Verknüpfung der ländlichen Digitalisierungsforschung mit aktuellen Konzepten der Mediatisierung und Re-Figuration könnte zukünftig dazu beitragen, solche Fragen systematischer zu untersuchen.