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Die Kommodifizierungslücke. Gentrifizierung in London, Berlin und St. Petersburg
Neues Buch von Matthias Bernt veröffentlicht
Matthias Bernt, kommissarischer Leiter des Forschungsschwerpunkts „Politik und Planung“, untersuchte in seinem Habilitationsprojekt „Gentrification und Wohnungspolitik“ vergleichend Gentrifizierungsprozesse in London, Berlin und St. Petersburg. Ein besonderes Augenmerk legte er hierbei auf die Auswirkungen verschiedener Regulationsformen und Politiken des Wohnungsmarktes, sowohl auf Investitionen in den Wohnungsbestand als auch auf die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Aus seinen gewonnenen Erkenntnissen entwickelte Bernt das Konzept der „Komodifizierungslücke“, das eine institutionalistische Perspektive auf Gentrifizierung einnimmt. Nun wird seine Habilitationsschrift als Monographie bei Wiley veröffentlicht.
Gentrifizierung, die „Aufwertung“ von Wohngebieten durch die Verdrängung ärmerer Bewohner*innen und den Zuzug von Besserverdienenden, ist schon seit langem ein Kernthema der Stadtforschung. Seit der Einführung des Terminus durch die Soziologin Ruth Glass im Jahr 1964 werden vor allem zwei Erklärungsmuster diskutiert: „Angebotsseitige“ Ansätze leiten den Aufwertungsprozess von Wohnvierteln aus der Differenz zwischen aktuell realisierter Grundrente und potenziell möglicher Rente aus einem Grundstück, der sogenannten „Rent Gap“ ab. Ist die Lücke groß genug, wird es attraktiv, in den vernachlässigten Wohnungsbestand zu investieren. Mietsteigerungen und die Verdrängung einkommensschwächerer Wohnbevölkerung folgen. „Nachfrageseitige“ Erklärungen verorten die Ursachen für Gentrifizierungsprozesse eher in sozialstrukturellen, demographischen und kulturellen Prozessen. Sie gehen davon aus, dass eine Aufwertung befeuert wird, wenn mehr kaufkräftige Menschen bestimmte Wohnlagen und Preisklassen nachfragen.
Beide Ansätze stehen in der Kritik, denn sie wurden vor dem Hintergrund der Erfahrungen US-amerikanischer und britischer Städte in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt und lassen Faktoren wie die politische Regulierung von Wohnungsmärkten weitgehend außen vor. Aufwertungsprozesse an ganz unterschiedlichen Orten werden dadurch gewissermaßen über einen Kamm geschert. An dieser Stelle setzt das Buch “The Commodification Gap: Gentrification and Public Policy in London, Berlin and St. Petersburg” von Matthias an, worin er von 2014 bis 2017 vergleichend Gentrifizierungsprozesse in London, Berlin und St. Petersburg untersuchte und dabei zwei Leitfragen verfolgte: Welchen Einfluss haben unterschiedliche Regulationsformen des Wohnungsmarktes auf Investitionen in den Wohnungsbestand? Und: Wie wirken sich unterschiedliche Politiken auf die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus?
In seinem Projekt „Die Kommodifizierungslücke. Gentrifizierung in London, Berlin und St. Petersburg“ entwickelte Matthias Bernt eine neue institutionalistische Perspektive auf Gentrifizierung. Zentral darin ist das neue Konzept der „Komodifizierungslücke“, welches das Verhältnis von allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen und lokalen institutionellen Kontexten in den Blick nimmt. Die Kommodifizierungslücke beschreibt also die Differenz zwischen der potenziellen Grundrente, die für ein Grundstück erreicht werden kann, wenn es vollständig kommerzialisiert ist, und der Grundrente, die erzielt werden kann, wenn der Warencharakter des Grundstücks vollständig oder teilweise eingeschränkt wird. Das kann beispielsweise durch eine Mietgesetzgebung oder durch einen Status als sozialer Wohnungsbau geschehen. Erst wenn diese Lücke geschlossen wird, kommt Gentrifizierung in Gang. Bernt identifizierte insgesamt elf unterschiedliche Kommodifizierungslücken, mit denen sich die institutionellen Rahmenbedingungen für Gentrifizierung in ihrem jeweiligen nationalen Kontext zu unterschiedlichen Zeitpunkten beschreiben lassen. Dazu gehört beispielweise die Lücke zwischen den Grundrenten für „unmodernisierte“ und „modernisierte“ Wohnungen gemäß dem deutschen Mietrecht, die Möglichkeit der „Aufwertung“ privatisierter Sozialwohnungen in Großbritannien oder die Zersplitterung von Eigentumsverhältnissen in Russland.
Das Buch ist im April 2022 in der renommierten „IJURR Studies on Urban and Social Change Book Series“ im Verlag Wiley erschienen.