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Nachruf auf Prof. Dr. Thomas Topfstedt (1947 – 2021)
Mit großer Trauer nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Thomas Topfstedt. Der Kunsthistoriker und Nestor der DDR-Architekturgeschichtsforschung ist am 6. Dezember 2021 im Alter von 74 Jahren in Leipzig verstorben. Der planungsgeschichtlichen Forschung und Archivarbeit des IRS war er Jahrzehnte lang eng verbunden. Dem Fachbeirat der Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS gehörte er seit dessen Einrichtung im Jahr 2000 durchgängig an. Im selben Jahr gab er zusammen mit dem damaligen Sammlungsleiter Dr. Holger Barth im Eigenverlag des IRS das bis heute viel zitierte biographische Nachschlagewerk zur DDR-Architektur heraus: „Vom Baukünstler zum Komplexprojektanten. Architekten in der DDR“ (erschienen als Band 3 der IRS-Reihe REGIO doc). Seine Einleitung zu dem Band, für den er außerdem acht Biogramme verfasste, gehört bis heute zur Grundlagenliteratur zu diesem Thema. Den Auf- und Ausbau der IRS-Sammlungen hat Topfstedt fast 30 Jahre lang engagiert begleitet. Gleichzeitig beriet er die Planungs- und Architekturhistoriker*innen am IRS fachkundig und intensiv zu zahlreichen Forschungsfragen und -projekten. Er nahm selbstverständlich auch an vielen Fachtagungen in Erkner teil, so als regelmäßiger Moderator bei den Werkstattgesprächen zur DDR-Planungsgeschichte, zuletzt im Januar 2020. Die hohe fachliche Anerkennung für Thomas Topfstedt beruhte vor allem auf seiner wissenschaftlichen Ausgewogenheit, denn seine Expertise zur DDR-Planungs- und Architekturgeschichte war neben einem vertieften Verständnis des Forschungsgebiets immer zugleich von kritisch-analytischer Distanz geprägt.
Thomas Topfstedts Beziehung zum IRS reicht aber viel länger zurück als in die Umbruchzeit der 1990er Jahre: 1947 in Erfurt geboren, wurde er nach seinem Studium der Kunstgeschichte an der Universität Leipzig 1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Städtebau und Architektur (ISA) in Berlin, dem Vorgängerinstitut des IRS an der damaligen Bauakademie der DDR, wo er bis 1975 arbeitete. Am ISA war er damit beauftragt, die Geschichte der Architektur der DDR zu erforschen, zu der er 1988 ein von Fachleuten in Ost wie West gleichermaßen hoch geschätztes Grundlagenwerk („Städtebau in der DDR 1955–1971“) vorlegte. Sein Horizont ging freilich stets weit über dieses Themenfeld hinaus, das ihn aber auch nicht mehr losließ. Im Abstand von einem halben Jahrhundert blickte Topfstedt übrigens mit gemischten Gefühlen auf seine Berliner Jahre zurück. Gern erinnerte er sich an anregende Gespräche vor allem mit Architektenkollegen im ISA, seine eigene Abteilung Theorie und Geschichte jedoch habe in dieser Phase enttäuschter Hoffnungen eher ein Nischendasein gefristet.
Daher war Topfstedt froh, als Assistent an die Leipziger Universität zurückgehen zu können – und diese ist zu beglückwünschen, einen solch versierten Hochschullehrer herangebildet und nach Promotion (1980) und Habilitation (1984), seinerzeit mit einer Dissertation A und B (beides Pionierarbeiten zur Entwicklung von Architektur und Städtebau in der DDR), über den politischen Umbruch von 1989/90 hinweg gehalten zu haben. Denn als einer von nur ganz wenigen geisteswissenschaftlichen Professoren aus der DDR konnte er Lehrstuhlinhaber bleiben und Forschung und Lehre in der Nachwendezeit mitgestalten. Das Fach Kunstgeschichte in Leipzig hat Thomas Topfstedt auf diese Weise entscheidend mitgeprägt, und Schülerinnen und Schüler in großer Zahl haben ihn regelrecht verehrt.
Dabei wäre Topfstedt in den letzten Jahren der DDR fast doch noch einmal beruflich mit dem ISA bzw. der Bauakademie in nähere Verbindung gekommen: ISA-Direktor Bernd Grönwald betrieb die Gründung eines Architekturmuseums der DDR in Dessau, und hierfür suchte er Topfstedt als Gründungsdirektor sowie Professor an der Bauakademie zu gewinnen. Wenige Jahre vor seinem Tod konnte er uns zu dieser noch so gut wie unerforschten Episode, die auch die IRS-Sammlungsgeschichte tangiert, wichtige Details mitteilen. Nur durch Zufall wurde sein schon praktisch unterschriftsreifer Arbeitsvertrag Makulatur, da Topfstedts Professor in Leipzig plötzlich starb und er selbst auf Grund seiner Habilitation als einziger in der DDR ernsthaft für die Nachfolge in Frage kam. Topfstedt blieb daher in Leipzig und wurde 1988 Professor. Die Emeritierung 2012 bedeutete selbstverständlich nicht das Ende seiner weit gespannten Aktivitäten.
Thomas Topfstedts große Verdienste um Architekturgeschichtsschreibung und Denkmalpflege, nach der Wende auch mit vielen Beiträgen zu Leipzig, Sachsen und Mitteldeutschland und keineswegs auf die DDR-Zeit beschränkt, seine zahlreichen Mitgliedschaften in Gremien, Kommissionen und Akademien und seine Teilnahme an wichtigen Initiativen zum Erhalt wertvoller Bausubstanz sind an anderer Stelle zu Recht gewürdigt worden. Doch nicht nur in fachlicher, auch in menschlicher Hinsicht tut sich durch seinen Tod eine große Lücke auf. Wer Thomas Topfstedt kannte, wird seine Zugewandtheit und aufgeschlossene Hilfsbereitschaft, seine Bescheidenheit und seinen Humor nicht vergessen. Wir vermissen ihn als Kollegen und Menschen schon jetzt sehr und empfinden tiefes Mitgefühl mit seiner Familie.
Kai Drewes und Harald Engler im Namen des Teams der Wissenschaftlichen Sammlungen und der Planungsgeschichtsforschung am IRS