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Stadtbaukunst zwischen Tradition und Moderne
Dissertation von Stefanie Brünenberg veröffentlicht
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges lagen die Städte in ganz Europa in Trümmern: Ihr Wiederaufbau nach den Jahren erbarmungsloser Luftkriege erscheint aus heutiger Sicht in seiner Vielfalt als Kompromiss auf vielen Ebenen. Die großen Probleme der Trümmerbeseitigung und Wohnungsnot standen den Ideen und Utopien derer gegenüber, die diese Zerstörung als Chance sahen – als Chance, die in den 1920er Jahren entwickelten Stadtplanungstheorien in die Realität umsetzen zu können.
Die aus diesen vorangegangenen Ideen entstandenen städtebaulichen Leitbilder reichten von Vorschlägen zur Rekonstruktion bis zum Neubau ganzer Städte. Und sie wurden kontrovers diskutiert. Die Abgrenzung zum nationalsozialistischen Regime, das Deutschland und die Welt in den Krieg geführt hatte, war bei diesen Diskussionen ebenso ein Argument wie die politischen Gegebenheiten der einzelnen Besatzungszonen in den ersten Jahren des Wiederaufbaus und den beiden deutschen Staaten ab 1949. Inmitten dieser Diskussionen veröffentlichte der Dresdner Architekt Wolfgang Rauda (1907 – 1971) seine Monografien mit stadthistorischen Analysen. Seine Intention war die Suche nach „Gesetzmäßigkeiten“ der historischen Stadtzentren, um diese für den Städtebau der Nachkriegsmoderne neu zu interpretieren. Anhand dessen entwickelt er seine Theorie der „städtebaulichen Raumkulturen“: Das Bewusstsein der Gesellschaft über die visuelle Wahrnehmung des sie umgebenden städtebaulichen Raums würde die Form der gebauten Umwelt prägen und umgekehrt.
In ihrer Doktorarbeit analysierte die am IRS forschende Architekturhistorikerin Stefanie Brünenberg Raudas Schriften und stellte diese in den Kontext der großen Klassiker der theoretischen Stadtbaukunst. Von Camillo Sitte über den Richtungsstreit zwischen Tradition und Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zum „Wiederaufbau“ der Altstadt in Frankfurt am Main. Wolfgang Rauda steht dabei als Persönlichkeit „zwischen den Systemen“: Sowohl in der DDR als auch, nach seiner Flucht 1958, in der BRD nahm er mit seiner architektonischen Haltung zwischen Tradition und Moderne eine konfliktreiche Position ein. In den 1920er Jahren traditionalistisch in der Stuttgarter Schule ausgebildet und als aufstrebender Architekt im Nationalsozialismus schuf er mit seinen theoretischen wie praktischen Arbeiten in Ost und West ein bislang wenig beachtetes Konzept einer Stadtbaukunst, mit dem er Tradition und Moderne verbinden wollte. Damals wenig beachtet lässt Rauda aus heutiger Sicht bereits Prinzipien der späteren Postmoderne erahnen, wenn er im Grunde eine „behutsame Stadterneuerung“ für den Wiederaufbau Rostocks vorschlägt oder eine Neuinterpretation historischer Gestaltungsgrundsätze im Sinne der „Kritischen Rekonstruktion“ fordert. Seine zahlreichen städtebaulichen Analysen und Pläne werden ergänzt durch eigenhändig gezeichnete Perspektiven kanonischer Stadträume, die er weltweit besucht hat. Damit legt er sowohl einen Fokus auf die lokalen Spezifika der städtebaulichen Gestaltung und beobachtet zugleich die internationalen Entwicklungen, über weltpolitische Grenzen hinweg. Viele dieser Zeichnungen sind in Brünenbergs Monografie „Stadtbaukunst zwischen Tradition und Moderne. Wolfgang Raudas Theorie zum nachkriegsmodernen Städtebau“ abgedruckt, die 2021 im Berliner Verlag urbanophil erschienen ist. Die Gestaltung des kontrastreichen Bandes wurde vom Grafikbüro punktgrau übernommen.
Stefanie Brünenberg fügt mit ihrem Buch über die Geschichte der Stadtbaukunst einen wichtigen Baustein hinzu und sie schreibt damit zugleich die Biografie eines politisch durchaus streitbaren Architekten, der in vier politischen Systemen wirkte, beinahe unbemerkt blieb und dennoch seine Spuren hinterließ.
Die Dissertation wurde zwischen 2015 und 2019 von Werner Durth und Jörg Dettmar am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt betreut und unter dem Titel „Der Städtebau nach seinen raumkulturellen Grundsätzen“ im November 2019 verteidigt.