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Fürsorge als Mittel des Machterhalts
IRS-Historiker Daniel Hadwiger mit Dissertationspreis des deutsch-französischen Historikerkomitees ausgezeichnet
Am 13. November 2020 wurde Daniel Hadwiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter der ehemaligen Historischen Forschungsstelle des IRS, mit dem Dissertationspreis des deutsch-französischen Historikerkomitees ausgezeichnet. Er erhält den Preis für seine am 26. Juli 2019 an der Universität Tübingen verteidigte Dissertation zum Thema „Nationale Solidarität und ihre Grenzen. Die deutsche Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und der französische Secours national im Zweiten Weltkrieg“.
Das deutsch-französische Historikerkomitee, eine Vereinigung von deutschen und französischen Historikerinnen und Historikern, treibt den geschichtswissenschaftlichen Austausch zu den deutsch-französischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert voran. Dabei nimmt das Komitee eine transnationale Perspektive ein: Die historische Forschung soll nicht im Container nationalstaatlicher Grenzen operieren, sondern die wechselseitigen Einflüsse, Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten herausarbeiten, die es trotz aller nationalen Besonderheiten in den deutsch-französischen Beziehungen immer gab. Alle zwei Jahre zeichnet das DFHK eine geschichtswissenschaftliche Dissertation aus, die diese Art von Forschung in besonderer Weise verkörpert. Auf der diesjährigen Jahreskonferenz am 13. November 2020 wurde zum siebten Mal der Dissertationspreis des DFHK vergeben. Ausgezeichnet wurde der Historiker Daniel Hadwiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes „Zeitgeschichte und Archiv” des IRS und Leiter des Projekts "Urban Authenticity: Creating, Contesting, and Visualising the Built Heritage in European Cities since the 1970s" (UrbAuth).
In seiner Dissertation untersuchte Hadwiger die politische Instrumentalisierung von Fürsorge im NS-Staat und im Vichy-Regime in einem transnationalen Vergleich. Beispielhaft betrachtete er die bedeutendsten Wohlfahrtsorganisationen im Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Frankreich: die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und den Secours national. NSV und Secours national versorgten die Zivilbevölkerung in außerordentlichen Krisen im Krieg. Zugleich handelten beide Wohlfahrtsorganisationen im Auftrag des NS-Staates bzw. des Vichy-Regimes. Sie setzten deren antikommunistischen, antisemitischen und familienfördernden Maßnahmen in der Fürsorge um. Zentral war daher neben ihrer Versorgungsfunktion ihre Überwachungs- und Propagandafunktion zugunsten des NS-Staates und des Vichy-Regimes. Die Studie vergleicht, wie die Herausforderungen der Fürsorge im Krieg durch die NSV und den Secours national innerhalb ihres jeweiligen nationalen Kontextes bewältigt wurden. Sie fragt darüber hinaus nach der gegenseitigen Beeinflussung der beiden Organisationen. Dass im Zweiten Weltkrieg nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Wohlfahrtsorganisationen um Bevölkerung, Territorien und konkurrierende Ordnungsmodelle gekämpft wurde, zeigen NSV und Secours national besonders anschaulich.
Die Arbeit wurde von Johannes Großmann, Juniorprofessor für Geschichte Westeuropas am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen, und Julia Torrie, Professorin für Geschichte an der University of St. Thomas in Fredericton, Kanada betreut. Sie wurde mit der Note 1,0 (magna cum laude) bewertet. Daniel Hadwiger recherchierte dafür in ca. 50 Archiven in Tschechien, Belgien, Frankreich und Deutschland, und stieß dabei auch auf neue Quellen. Derzeit befindet sich seine Dissertationsschrift in Publikation im Stuttgarter Franz Steiner-Verlag und wird in der Schriftenreihe des deutsch-französischen Historikerkomitees herausgegeben.