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Der richtige Ort, um Orte zu erforschen – die IRS Spring Academy 2019 in Erkner und Berlin
Gemeinsam mit dem Design Research Lab der Universität der Künste Berlin richtete das IRS vom 4. bis zum 7. Juni 2019 die dritte IRS Spring Academy „Investigating Space(s): Current Theoretical and Methodological Approaches“ aus. Mit diesem Format wurde Erkner für viele internationale Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu einem Ort der kreativen Begegnung. Ein Rückblick.
Wer eine Summer School besucht, muss sich auf ein volles Programm gefasst machen: Meist rund eine Woche lang von morgens bis abends Vorträge, Seminare, Workshops, Präsentationen der eigenen Arbeit, organisiertes Netzwerken zwischen Sandwiches und Laptops, oft gefolgt von kollektiver Abendgestaltung, das ganze gerahmt von eng getakteten An- und Abreisen, die für viele Teilnehmende mit Jetlag und Schlafmangel einher gehen. Und wie der Name „Summer School“ sagt, kommt zum Sozialstress oft noch der Hitzestress dazu. Den letzten Faktor, immerhin, versuchte das IRS mit seinem Konzept der „Spring Academy“ zu eliminieren, denn, so Oliver Ibert, Direktor des IRS und Initiator der IRS Spring Academy, „im Frühjahr ist es wenigstens nicht so heiß“. Doch bei der dritten IRS Spring Academy fiel – Hitzejahr 2019 – auch diese Erleichterung aus: Die gesamte Woche über herrschten Temperaturen deutlich über 30 Grad, Unwetter inklusive. Warum nehmen so viele diese Anstrengung auf sich?
Die Antwort ist, dass Summer Schools (wahlweise auch Spring oder Autumn Schools und Academies) magische Momente der Erkenntnis, des Kennenlernens und des Über-sich-Hinauswachsens bieten. Sie sind Leuchttürme in einem viel zu sehr von Routine und zermürbendem Pflichtgeschäft geprägten akademischen Arbeitsleben. Gerade Promovierenden geben sie die Aha-Erlebnisse, die sie brauchen, um in den Mühen der Ebene nicht aufzugeben: „Ich bin nicht allein – andere interessieren sich ebenfalls für mein Thema!“ „Meine Arbeit ist gut, sie findet Anerkennung!“ „Jetzt verstehe ich, warum ich das überhaupt mache!“ Anders als auf Konferenzen, die ein für viele überforderndes Hin und Her zwischen Sessions, Themen und Gesprächsrunden darstellen, oft begleitet von abschreckenden Hierarchien, Kontaktbarrieren und der Angst vor komplett Fremden zu sprechen, ist man auf einer Veranstaltung wie der Spring Academy die ganze Zeit mit einer Gruppe zusammen. Man bearbeitet gemeinsam Themen und kommt sich näher. Kontaktschwierigkeiten verschwinden schnell, meist hat sich am Ende ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Stabile Netzwerke und sogar Freundschaften entstehen. So sind die Mühen schnell vergessen. „Der erste Tag war super anstrengend. Aber ab Tag zwei habe ich es genossen, da wurde der Benefit sichtbar“, sagt eine Teilnehmerin der diesjährigen Spring Academy.
Seit 2017 kann Erkner sich darüber freuen, dass deutlich mehr deutsche wie internationale Nachwuchsforscherinnen und -forscher es in freudiger Erinnerung behalten, denn seitdem gibt es jährlich eine Ausgabe der IRS Spring Academy „Investigating Space(s): Current Theoretical and Methodological Approaches“. Sie wird von der Volkswagen Stiftung gefördert – sogar die Reisekosten aller Teilnehmenden werden übernommen. Dieses Jahr nun eine Zäsur: Die Spring Academy 2019 war die letzte der drei im ursprünglichen Rahmen geförderten Academies. Für eine Fortsetzung müssen nun neue Finanzierungsquellen erschlossen werden.
Doch worum geht es überhaupt bei der Spring Academy? Wie der Titel sagt, steht im Zentrum die Erforschung von Raum und Räumen, und im Geist mag man ergänzen: aus einer gesellschaftlichen, nicht aus einer rein physischen Perspektive. Damit ist eine breite Palette von Disziplinen mit hauptsächlichem oder teilweisem Interesse an raumbezogener Forschung angesprochen wie Geografie, Planung, Architektur, Politikwissenschaft, Soziologie, aber auch Kultur- und Geschichtswissenschaften – also genau der disziplinäre Mix, der das IRS selbst auszeichnet. Sie soll den Austausch über den State of the Art bei Theorien und Methoden zur Erforschung von Raum und Räumen fördern. Hier liegt die strategische Bedeutung der Spring Academy: In einem Feld, in dem das IRS eine internationale Führungsposition beansprucht, sollen die besten Köpfe – etablierte wie aufstrebende – zusammengebracht werden, und sie sollen das Institut als attraktiven Ort für fruchtbaren Gedankenaustausch erleben. Mit dem Abschluss der dritten Spring Academy ist es Zeit ein Fazit zu ziehen, für die Reihe insgesamt und für die dritte Iteration im Besonderen. Hat sich der – erhebliche – Aufwand gelohnt?
Jede Ausgabe der Spring Academy hatte ihren eigenen Schwerpunkt. Bei der ersten Spring Academy 2017 „Temporality and Procedurality“, gemeinsam ausgerichtet mit dem Fachbereich Soziologie der Technischen Universität Berlin, ging es um die Hinwendung der raumbezogenen Forschung zur Zeit-Dimension, also zur Prozesshaftigkeit räumlicher Phänomene. Diese Erweiterung der Perspektive ist zentral für die IRS-Forschung insgesamt: Mit seinem seit Anfang 2019 gültigen aktuellen Forschungsprogramm macht das Institut die „Raum-Zeitlichkeit“ der untersuchten Phänomene zu einem verbindenden Element über Abteilungs- und Projektgrenzen hinweg. Die zweite Spring Academy 2018 „Virtuality and Socio-Materiality“ thematisierte die Schnittstelle zwischen virtuellen und den vordergründig „realeren“, nicht-virtuellen Räumen. Damit ist eben keine kategorische Unterscheidung gemeint, sondern die Frage, wie beide Räumlichkeiten aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig produzieren. Dieses Mal kooperierte das IRS mit dem Weizenbaum-Institut für die Vernetzte Gesellschaft, auch bekannt als Deutsches Internet-Institut. Nach beiden Ereignissen berichteten die Teilnehmenden überwältigend positiv von ihren Erfahrungen.
Die Spring Academy 2019 „Topolgies“ fokussierte nun einen Zugang zu räumlichen Fragestellungen, der nicht über Territorien und Skalenebenen funktioniert, sondern über die historisch gewachsene Eigenlogik, Komplexität und „Messiness“ konkreter Orte. Symbolisch zerknüllte Oliver Ibert bei der Eröffnung der Academy einen Stadtplan. Aus einer zweidimensionalen, standardisierten Raumrepräsentation wurde damit ein dreidimensionales, in seiner Struktur einzigartiges Objekt. So veranschaulichte er den Perspektivenwechsel „from spaces to topologies“. Auch dieser Schritt in der Theorie- und Methodenentwicklung findet nicht allein im Elfenbeinturm der Wissenschaft statt. Er hat Folgen dafür, wie man sich soziales Handeln vorstellt: eben nicht abstrakt, in Skalen- und Machtrelationen gefangen, sondern materiell situiert, mit ortsspezifischen Gemengelagen verwoben, aber grundsätzlich schöpferisch.
Der Ansatz, anerkannte lokale Partner mit ins Boot zu holen wurde auch bei dieser Spring Academy verfolgt, und so beteiligte sich das Design Research Lab der Universität der Künste Berlin an ihrer Ausrichtung. Das DRLab ist eine Plattform für interdisziplinäre Forschung an praktikablen, den menschlichen Bedürfnissen angepassten Designlösungen, etwa für Mensch-Maschine-Interaktion und digitale Kommunikation. Ein Teil des Programms wurde im Berlin Open Lab abgehalten, das die UdK in Kooperation mit der TU Berlin als offenen Innovationsort betreibt. Leiterin und Design-Professorin Gesche Joost präsentierte den Teilnehmenden eine dynamische Topologie ganz im Sinn der Spring Academy: Wie eine alte Fabrikhalle in das Berlin Open Lab transformiert wurde, und wie es in die sehr lokalspezifische institutionelle „Ökologie“ des DRLab hinein wuchs: ein Netzwerk, das auch Einrichtungen wie das Weizenbaum-Institut und das Einstein Center Digital Future einbindet, die die Digitalisierung mit einem hohen emanzipatorischen Anspruch mitgestalten wollen. Eine Berliner Pflanze eben.
38 Teilnehmende von Forschungsinstitutionen in zehn Ländern, Referentinnen und Referenten eingeschlossen, kamen für diese Spring Academy zusammen, ein Großteil davon Promovierende. Aus der Zusammenschau ihrer disziplinären Hintergründe, Forschungsthemen und Engagements außerhalb der Forschung wurde deutlich: Hier trafen überwiegend junge Forschende aufeinander, die bei aller Unterschiedlichkeit das Bestreben eint, nicht nur exzellente, sondern auch gesellschaftlich relevante Beiträge zu leisten. Das Verhältnis von Protest und Stadtplanung, Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse in der Folge von Erdbeben, akustische Umwelteinflüsse – dies sind nur einige Beispiele für die Vielfalt der behandelten Themen.
Die Vielfalt der Perspektiven zeigte sich auch in den drei Keynote Lectures. Ruel Rutten, Assistant Professor am Fachbereich Organisationsforschung der Universität Tilburg fragte nach der Rolle von Orten und Beziehungen zwischen Orten bei der Kreation von neuem Wissen. Was bringt kreative Individuen dazu, an einem bestimmten Ort zu bleiben, und was bringt sie dazu, Distanzen zu überwinden? Richard Rodger, emeritierter Professor für Geschichtswissenschaft an der University of Edinburgh setzte sich mit der Frage auseinander, wie Informationssysteme und administrative Grenzziehungen die Möglichkeiten beeinflussen, Orte in einer Stadt wirtschaftlich in Wert zu setzen. Leidenschaftlich sprach er sich für Open Source-Informationssysteme wie OpenStreetMap aus, deren Aktualität und Datenqualität von einer Freiwilligen-Community aufrechterhalten wird. Merje Kuus, Professorin für Geografie an der University of British Columbia, nutzte schließlich das Beispiel diplomatischer Aushandlungsprozesse in der EU-Bürokratie in Brüssel, um zu zeigen, welche Schwierigkeiten aber auch Potenziale in einem Forschungsansatz liegen, der soziale Dynamiken als ortsgebundene Prozesse analysiert.
Die Teilnehmenden bewerteten dieses Zusammenkommen vieler Perspektiven als äußerst bereichernd. „Ich suchte nach einer theoretischen ‚Injektion‘“, sagt etwa Katharina Kullmann von der FH Erfurt. „Ich habe viele verschiedene Ansätze kennengelernt, dir für mich neu waren. Das hilft, die eigene Arbeit in einen Kontext einzubetten.“ Merje Kuus zog beim Abschluss-Panel ihr persönliches Fazit: „Die vielfältigen Perspektiven hier haben mich daran erinnert, dass intellektuelle Vielfalt keine Verzierung ist, sondern der Schlüssel dazu, neugierig zu bleiben.“
Neben der Auswahl der Teilnehmenden und Beiträge wurde bei der Organisation der Spring Academy auch hart daran gearbeitet, Kommunikationsformate wie auch einen sozialen Rahmen anzubieten, die den Teilnehmenden dabei helfen sollten, sich wirklich produktiv auszutauschen. Angefangen mit dem mittlerweile traditionellen akademischen Speed Networking, das jeder und jedem Teilnehmenden jeweils ein kurzes eins-zu-eins-Gespräch mit (fast) allen anderen ermöglichte. In die Tiefe gehen konnten die Promovierenden dann bei individuellen Konsultationen mit den Keynote Speakers und weiteren profilierten Seniors – „sehr effektiv“, wie eine Teilnehmerin bemerkt. Bei mehreren Paper Pitch-Sessions hatten die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler die Gelegenheit, ihre Arbeiten kurz und prägnant vorzustellen und sich Feedback dazu einzuholen.
Ein besonderes Format der Spring Academy waren die „Doing Research Workshops“: Hier ging es darum, sich über ganz handfeste forschungspraktische Probleme auszutauschen. „Über diese Dinge wird normalerweise nicht in Lehrbüchern oder Artikeln geschrieben, also müssen wir darüber reden“, sagt Jana Kleibert vom IRS, die gemeinsam mit Cristina Temenos von der University of Manchester einen solchen Workshop leitete. Darin wurde „multi-site research“ diskutiert, also wie man einem Untersuchungsgegenstand an mehreren unterschiedlichen Orten gewissermaßen durch den Raum hinterherforscht. „Es hilft zum Beispiel dabei einen neuen, fremden Ort besser zu verstehen und auch Gesprächspartner ausfindig zu machen, wenn man den Kontakt zu lokalen Journalisten sucht“, sagt Kleibert.
Die ermutigende Wirkung eines offenen Austauschs zählte zu den großen Pluspunkten dieser Spring Academy. „Ich fühle mich jetzt ermutigt, Dinge in meine Forschung zu integrieren, die ich selbst wichtig finde, die aber in meinem disziplinären Umfeld eher ignoriert werden“, sagt Hannah Wolf von der Universität Potsdam. Sam Miles von der London School of Hygiene & Tropical Medicine ist überzeugt: „Dies ist eine Gelegenheit für Leute am Anfang ihrer Forschungskarriere, sich zu vernetzen, sich gegenseitig zu zitieren und die Hierarchie loszuwerden.“
Geholfen hat dabei auch das, was gemeinhin als „Drumherum“ bezeichnet wird. Durch die Bank von allen (gefragten) Teilnehmenden wurde die Organisation des Ablaufs gelobt: Sorgenfreiheit dank sozialer Rundumbetreuung, entspannte sonnige Abende mit „Walk & Talk“ und Dinner wie jenes im „Café am Neuen See“ im Berliner Tiergarten, und nicht zu vergessen, das Catering tagsüber. Schließlich hatte auch das neu eingerichtete Eltern-Kind-Zimmer des IRS seinen ersten richtigen Einsatz, denn eine Dozentin war mit Mann und Baby angereist. Vielleicht überraschend, aber sicherlich erfreulich für viele IRS-Beschäftigte, die allmorgendlich aus Berlin ins Brandenburgische pendeln, ist, was Cristina Temenos abschließend über das IRS und Erkner zu sagen hatte: „Das ist so ein schöner Ort zum sich Aufhalten und zum Arbeiten!“
Wie es mit der IRS Spring Academy genau weiter geht, mit welchem thematischen Zuschnitt und welcher Finanzierung, ist noch ungewiss. Doch aus der Sicht von Oliver Ibert ist eines klar: „Wir werden auf jeden Fall weitermachen."