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100 Jahre Bahnhofssiedlung Erkner: Kulturhistorische Ausstellung lockt Erkneraner ins IRS
Am 8. April 2019 jährte sich zum einhundertsten Mal die Gründung der Siedlungsgenossenschaft „Eigen Heim GmbH“ in Erkner. Sie gilt als Keimzelle der heutigen Bahnhofsiedlung und ist ein planungs- und architekturgeschichtliches Zeugnis der Gartenstadtbewegung. Die Bahnhofssiedlung in Erkner wurde 1919 als Genossenschaft gegründet und nach sozialreformerischen Ideen gestaltet. Sie gehört zu den 36 nach der Jahrhundertwende in Berlin und Brandenburg entstandenen Gartenstädten. Eine Ausstellungseröffnung gab Ende März im IRS den Auftakt für die Feierlichkeiten im Rahmen des Jubiläumsjahres.
Wenn das IRS für Erkner seine Tore öffnet, dann ist „die Hütte“ meist schnell voll. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens sind Erkneraner neugierig. Zweitens gehört der Ort, wo das IRS heute ist, zu Erkners wechselvoller Geschichte. Die Rütgerswerke AG waren hier nämlich als europäische Kunststoffwiege ein Labor für das Neue und wichtiger Arbeitgeber. Das weiß in Erkner jede Familie: „Da hat Großvater gearbeitet“. Wenn also das IRS seine Türen aufmacht, dann freuen sich viele Menschen in Erkner, dass sie wieder teilnehmen können. Auf einem Gelände, das zu ihrer Vergangenheit gehört.
Dafür gibt es viele Gelegenheiten, sei es an Tagen des Offenen Denkmals , anlässlich der beiden Brandenburger Regionalgespräche, die jedes Jahr stattfinden, sei es zu besonderen Anlässen wie zum Bespiel zur Zukunft des Flakenstegs im Juni 2017 oder zu Ausstellungen und Führungen in den international renommierten Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS, die am Flakenfließ über das weltweit größte Archiv zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR verfügen; und die sich genau hier in den letzten 23 Jahren – so lange ist das IRS jetzt in Erkner – beharrlich zu einem Hotspot der zeitgeschichtlichen, raumbezogenen Sozialforschung entwickeln konnten.
Der Historische Pavillon ist mit seinem Archiv und mit seinem schönen Veranstaltungssaal das Kleinod der Historischen Forschungsstelle und der Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS. Dieser zweite Pavillon steht seit 2011 zur Verfügung und wurde mit Mitteln des Konjunkturpakets II der Bundesregierung in Stand gesetzt. Seitdem teilt ihn das IRS zu ausgewählten Anlässen gerne mit aktiven und geschichtsinteressierten Menschen aus der Gerhart-Hauptmann-Stadt Erkner. So auch am 27. März 2019.
Es ist 18 Uhr. Kai Drewes, Leiter der Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS und Horst Miethe vom Verein 425 Kultur Erkner e.V. sind ein bisschen aufregt und stehen am Eingang. Vor allem Horst Miethe hat lange auf diesen Abend hingearbeitet. Später erzählt er den 80 Gästen etwas über die Bahnhofssiedlung: 1919 wurde sie als Genossenschaft gegründet und sodann nach sozialreformerischen Ideen der Gartenstadtbewegung aufgebaut. Die Ausstellung nimmt das 100-jährige Jubiläum zum Anlass, die Geschichte der Siedlung aus einer ausführlichen, sozialräumlichen Perspektive zu würdigen.
Thematisiert werden die städtebaulichen Diskurse der Entstehungszeit und die architektonische Gestaltung des Straßennetzes sowie des typischen Siedlungshauses mit seinen unverkennbaren roten Dächern und – die dürfen natürlich nicht fehlen – Gärten. Das soziale Leben der Bewohner in den zeitgeschichtlich verschiedenen politischen Systemen ist ein durchgehendes Thema. Diese Siedlung hat schon durch viele Zeitfenster geschaut: Pionierzeit in der Gartenstadtbewegung der zwanziger Jahre, mithin die kritischen Weimarer Jahre, den Nationalsozialismus, die DDR und nach 1989 dann die Bundesrepublik. Die Ausstellung zeigt Zeiträume, Bewohner, Brüche, Alltag, Freude und Leid. Horst Miethe betont interessanterweise auch, wie stark die Stadt-Umland-Beziehungen zwischen Erkner und Berlin damals ausgeprägt waren. Hier haben seinerzeit viele gebaut, die mehr oder weniger Geld hatten und raus wollten aus der enger werdenden aufstrebenden Preußenmetropole: Beamte, Bauunternehmer, Akademiker – alles andere als eine Arbeitersiedlung also.
Horst Miethe, der Soziologe, hat in der Reihe der lesenswerten „Erkneraner Hefte“ übrigens auch die berührende Geschichte des so genannten „Schokoladenjudens“ Fritz Putziger erzählt, dessen Existenz als Grossist in der Bahnhofsiedlung in Erkner in der Pogromnacht 1938 von einem Schlägertrupp der SA brutal und äußerst menschenverachtend vernichtet wurde. Auch das ist eine Geschichte aus der Bahnhofssiedlung. Und dann sind da noch die Bombensplitter des für Erkner alles verändernden 8. März 1944, die Siedlungsnachbar Jürgen Stapf für diese Ausstellung mit entrückter Akkuratesse an der Wand zum Flakenfließ hin gerahmt und aufgebahrt hat.
In dieser Richtung befand sich früher ein großes Werksgelände und bis heute der Bahnhof und eben die Bahnhofssiedlung, die alles immer irgendwie überstanden hat. „Anfang der neunziger Jahre wurde die Fabrik abgerissen. Sehen Sie, da ist jetzt der große Parkplatz für die Pendler, die heute in Berlin arbeiten müssen“, sagt eine Besucherin.
Kai Drewes vom IRS als Gastgeber, Horst Miethe als Kurator und der Wissenschaftsjournalist Friedrich Wolff führen jetzt noch weiter in die Geheimnisse der Gartenstadtbewegung in und um Berlin und in die wechselvolle Geschichte der Erkneraner Bahnhofssiedlung ein. Es ist eng im Pavillon. Und für alle durchweg äußerst spannend. Aufgelockert wird die Vernissage mit Swing-Musik von Torsten Grüßel und Rudolf Haenel von der Bergkapelle Rüdersdorf und durch die fröhlichen Frauen, Männer und Kinder aus Erkner, die im Stil der 1920er Jahre gekleidet heute als abgesandte des Heimatvereins der Gerhart-Hauptmann-Stadt Erkner gekommen sind. Die Historische Forschungsstelle ist historische Bühne heute Abend. Auf dem Glasboden über dem Ausstellungsraum tanzen die Kinder. Ein schöner, vitaler Abend für die Gäste und für das IRS, aktiv dabei auch der Bürgermeister der Gerhart-Hauptmann-Stadt Erkner, Hendryk Pilz.
Ab dem 6. Mai bis zum 26. Juni 2019 ist die Ausstellung im Rathaus Erkner im Foyer zu den Öffnungszeiten zu sehen
Gruppenführung: 19. Mai, 13:00 Uhr
oder nach Anmeldung 03362 4750