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Studie zum Umgang von Städten mit migrationsbedingter kultureller Vielfalt erschienen
Der Umgang mit migrationsbedingter kultureller Vielfalt gehört zu den größten Herausforderungen von Kommunen in Deutschland. Trotz der hohen stadtpolitischen und gesellschaftlichen Relevanz fehlte bislang eine systematisierende Betrachtung zum Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu diesem Thema. Diese Lücke zu schließen war das Ziel einer heute erscheinenden Studie, die von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegeben und von Wissenschaftlerinnen des IRS und der Technischen Universität Berlin erstellt wurde. Darin analysierten sie, auf welche Herausforderungen Städte reagieren müssen, welche Widerstände und Konflikte zu erkennen sind und wie diese überwunden werden können.
Die Studie arbeitete den Wissensstand unter anderem zu folgenden Themengebieten auf und entwickelte Handlungsempfehlungen für die Stadtpolitik: Als ersten Schritt erarbeiteten Prof. Dr. Felicitas Hillmann und Hendrikje Alpermann eine Typologie für die Städte in Deutschland im Hinblick auf ihre Migrationserfahrung sowie auf weitere Indikatoren wie Größe und Charakteristika des städtischen Arbeitsmarkts. Darüber hinaus systematisierten sie Fachliteratur in Bezug auf die Wechselwirkung von Migration und kultureller Vielfalt mit Segregation und Integration, Partizipation sowie Identität und religiöser Vielfalt. Nicht zuletzt legt die Studie auch offen, dass es in den Städten viele Beispiele für produktive Orte migrationsbedingter Vielfalt gibt.
Zur Typologie der Städte
Wesentlich ist die Differenzierung der Migrationserfahrungen der Städte durch eine gesonderte Betrachtung der „stock population“ und der „flow population“ – also jener Bevölkerung, die bereits länger in einer Stadt ansässig ist, und jener, die aktuell durch Zuzug die kulturelle Zusammensetzung möglicherweise verändert. Die meisten Großstädte in Westdeutschland weisen beispielsweise, bedingt durch die Gastarbeiterhistorie, eine hohe migrationsbedingte Vielfalt in der stock population auf und sind zugleich durch einen hohen Zuzug unterschiedlicher Mobilitätstypen (nach Herkunftsländern, Status und Aufenthaltsdauer) sowie Geflüchtete geprägt. Dies stellt sich für die Städte in Ostdeutschland anders dar: die Vielfalt der stock population ist wenig ausgeprägt und die flow population ist ebenfalls weniger diversifiziert. Es bestehen zudem wesentliche Unterschiede zwischen Städten, die bereits den Übergang zu dienstleistungsorientierten städtischen Arbeitsmärkten vollzogen haben, und Städten, die sich noch in einer Umstellungsphase befinden. Häufig sind es letztere Städte im wirtschaftlichen Umbruch, die einen geringen Zuzug unterschiedlicher Mobilitätstypen, jedoch verhältnismäßig vieler Geflüchteter, aufweisen.
Die Typisierung der Städte liefert wertvolle Hinweise auf die Kompetenzen im Umgang mit neuen Herausforderungen mit migrationsbedingter kultureller Vielfalt. Städte, die früh proaktive Stadtpolitiken ergriffen haben und den Übergang in die Dienstleistungsgesellschaft bewältigen konnten, profitieren heute tendenziell von der vorhandenen kulturellen Vielfalt. Kleinere Städte, besonders solche, die schrumpfen und die sich in einer strukturell schwierigen Situation befinden, sträuben sich – mit prominenten Ausnahmen – eventuell gegen neue Einflüsse von außen. Kulturelle Vielfalt gelinge demnach leichter dort, wo sie schon eingeübt ist und wo Konflikte bereits in der Vergangenheit bearbeitet wurden, so Hillmann.
Zu den Wechselwirkungen
So wurde beispielsweise deutlich, dass die soziale Segregation in Städten im Durchschnitt höher ist als die ethnische Segregation, dass es jedoch häufig zu Überlagerungen in einzelnen Quartieren kommt. Marginalisierungstendenzen, Fragmentierung der Stadtgesellschaften in Milieus und sozialräumliche Verdrängungsprozesse in den Innenstädten seien akute Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, so die Autorinnen. In Bezug auf die Partizipation in Stadtentwicklungsprozesse sei weiterhin eine Unterrepräsentation von Migrant/-innen im institutionellen Gefüge der Städte zu erkennen. Zugleich finde eine Ausdifferenzierung und Beschleunigung der Aktivitäten statt: Migrantenselbstorganisationen erfahren vielerorts eine Aufwertung; auch in den Verwaltungen schreitet die interkulturelle Öffnung voran. Öffentliche Orte, dies zeigt die Studie, werden vermehrt zu Aushandlungsfeldern migrationsbedingter kultureller Vielfalt.
Zu den produktiven Orten migrationsbedingter Vielfalt
Zu diesen Orten gehören beispielsweise Bibliotheken und Museen, aber auch Paraden und Feste. Viele Städte seien bereits auf dem Weg dahin, Migration als Anlass zur Bearbeitung übergreifender, gesamtstädtischer Problemlagen zu begreifen, so Hillmann. Der Umgang mit Migration erhalte dadurch einen ähnlichen Stellenwert wie andere Treiber der Stadtentwicklung, etwa Investitionen, Kultur, Nachbarschaftsarbeiten und Sozialarbeit. Je stärker Städte ihre Handlungsmöglichkeiten auf eine proaktive Bearbeitung von migrationsbedingter kultureller Vielfalt ausrichteten, desto größer würden die Chancen, den mit der Vielfalt immer auch verbundenen Konflikten im Vorfeld zu begegnen und gesamtstädtische Stadtentwicklungsprozesse anzustoßen.