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Raumwissenschaftliches Kolloquium diskutiert Auswirkungen der Coronakrise auf die Raumentwicklung
Verstärkte Stadtflucht, Einbruch des Welthandels, Vertiefung sozialer Spaltung – die COVID-19-Pandemie hat scheinbar drastische Konsequenzen für die Raumentwicklung. Doch wie gut lassen sich diese und andere Auswirkungen belegen, und wie sollte die Raumentwicklungspolitik darauf reagieren? Das Raumwissenschaftliche Kolloquium 2021 des Netzwerks Leibniz R bündelte unter dem Titel „Raumentwicklung und Corona – eine Zwischenbilanz“ den Stand der raumwissenschaftlichen Forschung zum Thema. Als wichtigste raumwissenschaftliche Transferkonferenz bot das Kolloquium auch Raum für den Dialog zwischen Forschung und Praxis.
Am 11. Mai 2021 wurde im Rahmen des Raumwissenschaftlichen Kolloquiums 2021 eine erste Zwischenbilanz zum Zusammenhang zwischen Raumentwicklung und der COVID-19-Pandemie gezogen. Forschende aus verschiedenen Fachrichtungen stellten erste Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der Pandemie auf die räumliche Entwicklung vor und gaben Antworten auf die Frage, wie die Bewältigung der Krise mit einer Transformation zur Nachhaltigkeit und Resilienz verbunden werden kann. Über 200 Interessierte nahmen an der Online-Konferenz teil und brachten sich über den Chat aktiv in die Diskussion ein. Die Konferenz wurde aufgezeichnet und ist im TIB AV-Portal archiviert.
Nach der Begrüßung und kurzer Einführung von IRS-Direktor Oliver Ibert, leitete Rainer Danielzyk, Generalsekretär der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) in Hannover, die Teilnehmenden durch einen spannenden Vormittag mit interessanten und anregenden Vorträgen aus verschiedenen Fachperspektiven mit anschließender Diskussions- und Fragerunde. Zunächst gab Christoph Schmidt, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen einen Überblick zu möglichen ökonomischen Entwicklungen nach Corona. Im Fokus standen dabei die Zusammenhänge zwischen der aktuellen Krise und Megatrends wie dem demografischen Wandel und dem wirtschaftlichen Strukturwandel. Durch das Zusammenwirken beider, so Schmidt, komme es zu einen sich intensivierenden Wettbewerb zwischen den Regionen. Schmidt hob außerdem die Bedeutung kleinräumiger Einheiten für ein wirksames Krisenmanagement und den Aufbau resilienter Strukturen hervor. Anschließend stellte Thomas Kistemann, stellvertretender Direktor und Leitender Oberarzt am Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn, die raumzeitlichen Unterschiede des Pandemiegeschehens dar und verdeutlichte, wie die Pandemie soziale Ungerechtigkeiten verschärft. Besonders deutlich wurde, dass das Pandemiegeschehen multifaktoriell beeinflusst wird und einfache Erklärungen den komplexen Zusammenhängen nicht gerecht werden.
Stefan Siedentop, wissenschaftlicher Direktor des ILS –Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund diskutierte anschließend die Frage, welche politisch-planerischen Handlungsempfehlungen aus Sicht der Raumwissenschaften gegeben werden können. Aufgrund des derzeit noch lücken-haften Wissens über die räumlichen Auswirkungen der Pandemie seien vor allem no-regret-Maßnahmen, wie etwa die Stärkung von Sozialraumpolitiken und eine stärkere Resilienz-Orientierung der Raumplanung, sinnvoll. Zudem sei eine konsequente Ausrichtung der Konjunktur- und Investitionspakete an den Zielen der nachhaltigen Transformation von überaus hoher Wichtigkeit, um das Möglichkeitsfenster der Coronakrise effektiv zu nutzen.
Die sich anschließende gemeinsame Diskussion wurde rege genutzt, um sich etwa über den Einfluss der Globalisierung, das Potenzial von Regionalisierung, die sozial-ethische Komponente des Infektionsgeschehens und die Rahmenbedingungen der Schulpolitik auszutauschen. Am Nachmittag wurde in zwei parallelen Sessions vertieft über die Rolle ländlicher sowie urbaner Räume (Raum 1) und die globalen Auswirkungen sowie die Wahrnehmung der Mobilität in Zeiten der Pandemie (Raum 2) referiert und diskutiert. Hier wurden vor allem aktuelle Forschungsergebnisse aus den Einrichtungen des Leibniz-Forschungsnetzwerkes „Räumliches Wissen für Gesellschaft und Umwelt –Leibniz R“ vorgestellt.
In Raum 1 moderierte Thomas Weith vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg die Vorträge
• von Ariane Sept (IRS) zu „Ländliche Räume als Profiteure der Pandemie?“,
• von Martin Schulwitz (ILS) zu „Urbane Resilienz: Folgerungen aus der Corona-Pandemie“
• und von Markus Egermann vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden zu „Corona als Katalysator der Großen Transformation?“.
Die Diskussion behandelte Fragen von Auswirkungen der Pandemie in unterschiedlichen ländlichen Raumtypen und auf den Wohnungsmarkt. Zudem standen Transformationsprozesse und Stadt-Land-Beziehungen im Fokus.
In Raum 2 moderierte Oliver Ibert die Vorträge
• von Tonio Weicker vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig zu „Gesellschaft, Pandemie, Mobilität: Veränderte Wahrnehmung des ÖPNV in Zeiten von COVID-19“,
• von Josef Schmidhuber von der Food and Agriculture Organization (FAO) in Rom zu „Corona und Welthandel“
• und von Stefan Sieber und Katharina Löhr (beide ZALF) zu „Die Auswirkungen von COVID-19 auf Kleinbauern im Globalen Süden“.
In der Diskussion ging es um die Auswirkungen der Coronakrise auf den globalen Welthandel, insbesondere die Lebensmittelindustrie, um Anpassungsstrategien und Flexibilität der Kleinbauern, um Anpassungsmöglichkeiten im ÖPNV-System sowie um methodische Fragen zu empirischen Untersuchungen unterpandemiebedingt schwierigen Rahmenbedingungen. Den Abschluss der Veranstaltung bildete das Diskussionspanel „Erfolgreiches Krisenmanagement –lokal-regionale Erfahrungen und best practices im Umgang mit der Pandemie aus Sicht der Raumentwicklung“. Es diskutierten Vera Moosmayer (Unterabteilung Raumordnung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat), Jan Kammerl (Geschäftsbereich Wirtschaftsservice/Fachkräfte der Wirtschaftsförderung Erzgebirge), Sabine Baumgart (ARL) sowie Oliver Ibert. Die Moderation übernahm Thilo Lang (IfL). Debattiert wurde unter anderem darüber, inwiefern die Coronakrise die bereits vor der Pandemie bestehenden Trends und räumlichen Entwicklungen weiter verschärft. Weitere Diskussionsthemen waren soziale und räumliche Benachteiligungen und Kooperationsmöglichkeiten sowie die Notwendigkeit einer Anpassung des raumplanerischen Instrumentariums. Bereichert wurde die Diskussion durch Beiträge und Rückfragen aus dem Publikum.