06. Februar | 2023

Wenn Beratende aus der Rolle fallen

Diskussions-Panel beleuchtete Kooperation von Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung in Krisenzeiten

Täglich vermelden die Nachrichten, wie soziale Räume immer verletzlicher werden. Es sieht so aus, als sei ein Zeitalter der Krisen angebrochen. Die COVID-19-Pandemie, das Hochwasser im Ahrtal, der Ukrainekrieg oder die Explosion im Berliner Grunewald. Krisen sind mit einprägsamen Bildern als Brennpunkte öffentlicher Wahrnehmung und Aufmerksamkeit inzwischen allgegenwärtig. Für Verantwortliche in Politik und Verwaltung bringt das ein Umdenken im Handeln mit sich. Sie operieren zunehmend im Krisenmodus, in welchem bisher praktizierte Zuständigkeiten an Grenzen stoßen und Verwaltungsroutinen versagen.

Immer häufiger besteht unter Bedingungen von Bedrohung, Dringlichkeit und Unsicherheit in größeren sozialräumlichen Zusammenhängen das Erfordernis von spontanem, improvisierendem Denken und schnellem Handeln. Abgrenzungen etablierter Verwaltungsräume müssen dann überschritten werden. Die Krisenmanagementforschung spricht hier von transboundary crises. Gemeint ist damit eine entgrenzte Form von Krise. Sie reicht über bekannte Verantwortungsbereiche einzelner Entscheidungsträger*innen hinaus. Entgrenzte Krisen erfordern die Zusammenarbeit jenseits gewohnter Befugnisse und Verantwortlichkeit. Überschritten werden dabei Fachressorts ebenso wie territoriale Grenzen von der lokalen bis zur nationalen Ebene. Das zur Bearbeitung erforderliche Fachwissen kann dabei häufig nicht mehr allein intern vorgehalten werden. Daher sind Entscheidungsträger*innen in Krisen häufig abhängig von gutem Rat externer Berater*innen, die in Krisenzeiten nicht selten ad hoc hinzugezogen werden müssen.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) richtete vom 12. bis 14. Januar 2023 vor diesem Problemhintergrund den Fachkongress „Forschung für den Bevölkerungsschutz“ im World Conference Center Bonn aus. Der Kongress richtete sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachdisziplinen, die zu Themen des Bevölkerungsschutzes arbeiten sowie an Praktiker*innen aus Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

Oliver Ibert richtete für den Kongress gemeinsam mit Tjorven Harmsen vom Center for Security and Society (CSS) an der Universität Freiburg ein Panel aus. Der Titel lautete Beratung in Krisen: Zusammenarbeit von Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung für den Bevölkerungsschutz. Die Teilnehmenden diskutierten, wie Verantwortliche in Politik und Verwaltung im Krisenfall ausgefeilter mit wissenschaftlichen Berater*innen zusammenarbeiten können. „Diese Form der Zusammenarbeit ist durchaus herausfordernd“, sagte Oliver Ibert. Beispielsweise seien Entscheidungsträger*innen in der Krise stärker als im Alltag von Expertenrat abhängig, da sie unter Unsicherheit und Zeitdruck entscheiden müssen. Unter diesen Umständen aber können Berater*innen sich genötigt fühlen, Quasi-Entscheidungen zu treffen.

Die im Alltag geltende Rollentrennung zwischen Beratung und Entscheidung droht in der Krise zu verschwimmen und muss mit viel mehr Mühe aufrechterhalten werden. Persönliches Vertrauen kann eine gute Basis für Zusammenarbeit darstellen, wenn aber die Unsicherheit hoch ist, passiert es in der Krise leichter als im Alltag, dass Entscheidungsträger*innen sich vor allem an Berater*innen orientieren, die sie persönlich gut kennen. Für Beratung entsteht dabei die Gefahr, außerhalb ihrer eigentlichen Fachexpertise weniger nach fachlicher Expertise denn nach persönlichen Einschätzungen gefragt zu werden. Von beiden Seiten ist daher die Wahrung professioneller Distanz wichtig. Zudem werden wirkungsvolle Formen benötigt, auch ad hoc Kontakt zu einschlägiger Expertise herstellen zu können und auch mit Fremden vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können.

Insgesamt sei es wichtig, Grundkenntnisse über Krisenmanagement und Krisendynamiken bei wissenschaftlichen Fachberater*innen aufzubauen aber auch zunehmend in solchen Organisationen, die bisher nicht regelmäßig mit Krisen befasst waren.

Über diesen Themenkomplex diskutierten am 14. Januar unter der Moderation von Tjorven Harmsen (CSS, Universität Freiburg) im Plenarsaal des ehemaligen Bundestags

  • PD Dr. Birte Fähnrich, FU Berlin,
  • Nils Marquardsen, Geschäftsführer der auf Krisenmanagement spezialisierte DEDECC GmbH Weyhe,
  • Prof. Dr. Iris Pigeot, Direktorin des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen,
  • sowie Prof Dr. Oliver Ibert, Direktor des IRS Erkner.