26. März | 2018

Theoria cum praxi als Dialog mit Politik und Gesellschaft

Als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft gehört es zum Selbstverständnis wie zum konstitutiven Auftrag des IRS, Wissenstransfer als integralen Bestandteil seiner Forschungsplanung und Forschungspraxis zu betreiben. Obgleich sich alle Leibniz-Einrichtungen unter dem Leitgedanken „theoria cum praxi“ versammeln, hat dieser doch für die 91 Institute ganz unterschiedliche Implikationen – von der Entwicklung pharmazeutischer Wirkstoffe bis hin zur Erstellung von Wirtschaftsindizes. Das IRS hat ein spezifisches Transferkonzept erarbeitet, dass sich auf nationale und internationale Debatten über Transfer im Kontext der Raum- und Sozialwissenschaften stützt und den Theorie-Praxis-Nexus als vielschichtigen, reflexiven Dialog der Forschung mit Politik und Gesellschaft ausgestaltet.

Am 25. Januar 2018 veranstaltete die IRS-Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ im City Cube Berlin eine Diskussionsveranstaltung im Begleitprogramm des  Zukunftsforums Ländliche Entwicklung, das vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Entwicklung alljährlich im Rahmen der Grünen Woche ausgerichtet wird. Circa 100 Teilnehmer/-innen debattierten über Förderstrategien und Förderstrukturen für soziale Innovationen auf dem Land, darunter Vertreter/-innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Vereinen, Stiftungen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus allen Teilen Deutschlands und sogar aus dem Ausland. Die Veranstaltung basierte auf Forschungsergebnissen aus einem Projekt-Cluster, in dem die Abteilung seit circa drei Jahren intensiv zu sozialen Innovationen und zur Entwicklung strukturschwacher ländlicher Räume forscht. Die Abteilungsleiterin, Prof. Dr. Gabriela Christmann, betonte in ihrem Vortrag, dass soziale Innovationen mittlerweile einen hohen politischen Stellenwert für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen erlangt haben. Dies sei nicht zuletzt durch den Kongress „Innovationen für die Gesellschaft“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Herbst 2016 in Berlin, an dessen Konzeption und Durchführung Prof. Christmann maßgeblich beteiligt war, sichtbar geworden. Nun gehe es vor allem darum, soziale Innovationen zu erkennen, zu fördern und zu verbreiten. 

Transferveranstaltungen und direkte Beratungsgespräche zwischen Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen sind zentrale Formate für den Wissenstransfer des IRS. Dies liegt in einer Besonderheit sozialwissenschaftlicher Themen und Forschungsansätze begründet: Anders als in naturwissenschaftlichen Disziplinen sind die Forschungsgegenstände und die Zielgruppen des Wissenstransfers häufig deckungsgleich. Das IRS beforscht die wechselseitige Beeinflussung räumlicher und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse; das soziale Handeln von Bürger/-innen sowie von Vertreter/-innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft steht im Mittelpunkt des Interesses von Forschung und Transfer. Die Forschungsabteilung „Institutionenwandel und regionale Gemeinschaftsgüter“ hat sich beispielsweise in einer Reihe von Forschungsprojekten der gesellschaftlichen Dimension der Energiewende gewidmet. Die Wissenschaftler/-innen erforschen, welchen Einfluss der technologische Wandel auf die Organisation der Energieerzeugung und -nutzung hat. Welche Akteure – Unternehmen oder Personen – verfolgen welche Strategien? Wie verändern sich institutionelle Regelungsformen und wie können Konflikte gelöst werden? Die Antworten auf diese Fragen werden für die Forscher/-innen durch Analysen individuellen und kollektiven Handelns von Politikern, Anwohnern, neuen und alten Energieunternehmern oder Konsumenten sichtbar. Zugleich sind es genau diese Akteursgruppen, mit denen die Wissenschaftler/-innen fortwährend im Dialog stehen, um ihre Forschungsergebnisse zur Steuerung des komplexen Prozesses Energiewende zu diskutieren.

Das Beispiel der sozialwissenschaftlichen Energiewendeforschung lässt sich direkt auf weitere Forschungsthemen des IRS übertragen. Ob neue Orte kreativer Wissensarbeit ­wie Labs und Coworking Spaces, sozialräumliche Marginalisierungs- und Polarisierungsprozesse in Stadtquartieren oder die Karriere des Leitbilds der autogerechten Stadt im Zentrum des Interesses stehen: Transfer bedeutet immer, keine Förderbänder mit Wissen in Richtung potenzieller Anwender zu bauen, sondern fortwährend und forschungsbegleitend Gelegenheiten für einen Austausch zwischen Forschung und Praxis zu schaffen. Diese Reflexivität und Prozessorientierung ist daher der Kern des IRS-Konzepts für den Wissenstransfer, das in im Februar 2016 mit dem Wissenschaftlichen Beirat des IRS diskutiert und verabschiedet wurde. Demnach ist „die Vermittlung von forschungsbasiertem Wissen mit Anwendern und Zielgruppen als Austausch anzulegen, im Zuge dessen wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert, validiert und zugleich neue Forschungsperspektiven entwickelt werden.“ Diese Herangehensweise erfordert einen sensiblen Umgang mit dem Spannungsfeld aus Objektivität in den Analysen und Beratung auf Augenhöhe, die auf eine Reflexion und Adaption von Verhaltensweisen und Strategien sozialer Akteure abzielt. IRS-Wissenschaftler/-innen sind sich daher sehr bewusst, dass sie als Expert/-innen zum Teil jener gesellschaftlichen Wissenskreisläufe und Prozesse werden können, die sie selbst beforschen.

Auf der Basis dieses Konzept gestalten IRS-Forscher/-innen entscheidende Dialoge und Debatten in unterschiedlichen Bereichen des politischen Mehrebenensystems mit. Auf europäischer Ebene sind sie in Expertengruppen des „Covenant of Mayors for Climate and Energy“ sowie in „FORMAS – The Swedish Research Council for Environment, Agricultural Sciences and Spatial Planning” (Stockholm) beratend tätig. Auf der Bundesebene sind sie im Beirat für Raumentwicklung des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie in dessen Vorsitzendenkreis tätig. Sie wirken in Expertengruppen des Umweltbundesamts sowie im Deutschen Komitee für Nachhaltigkeitsforschung in „Future Earth“ mit. Auf der Ebene der Länder beraten sie als Mitglieder einer Expertengruppe des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, im Beirat für Nachhaltige Entwicklung im Auftrag des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg sowie in der Mindestlohnkommission im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg. Zudem werden Wissenschaftler/-innen am IRS regelmäßig von Fraktionen des Bundestages und des Landtages Brandenburg angefragt und beraten – wie jüngst zum Thema Open Creative Labs – das Bundeskanzleramt zu wichtigen Herausforderungen räumlich-gesellschaftlicher Entwicklung. Auf kommunaler Ebene erbrachte das IRS insbesondere durch die Bundestransferstelle „Stadtumbau Ost“  über Jahre hinweg regelmäßige Beratungsleistungen für Bürgermeister/-innen und andere kommunale Akteur/-innen. Beratungsleistungen werden für Akteure aus der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft, der Medienorganisationen und aus Stiftungen erbracht. Mitarbeiter/-innen des IRS wirken u.a. als Mitglieder im Beirat des Bundesverbandes der Unternehmervereinigungen sowie im Deutschen Rat für Landespflege oder dem Kompetenzbeirat des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) für das Sendeformat „Brandenburg aktuell“ mit. 

Von Oktober bis Dezember 2016 führte die IRS-Forschungsabteilung „Regenerierung von Städten“ eine gemeinsam mit dem Friedrichshain-Kreuzberg-Museum (FHXB) konzipierte Weiterbildungsreihe für Multiplikatoren und Mitarbeiter/-innen von Regionalmuseen in Berlin und Brandenburg durch. In dem von der Bundeszentrale für politische Bildung finanzierten Projekt „Schaufenster in eine neue Welt“ diskutierten Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen, wie internationale Migration als Thema der Museumsarbeit aufgegriffen werden kann. Die Weiterbildungsreihe steht stellvertretend für die Bestrebungen des IRS, die Palette seiner Formate des Wissenstransfers immer wieder zu variieren und zu ergänzen. Zugleich machen andere Beispiele, etwa der Transfer im Zusammenhang mit dem Drittmittelprojekt „Lösung von lokalen energiepolitischen Konflikten und Verwirklichung von Gemeinwohlzielen durch neue Organisationsformen im Energiebereich“ (EnerLOG) deutlich, dass neben Kreativität auch Diversität bei der Formatwahl wichtig ist. Die Wissenschaftler/-innen in diesem Projekt führten eine Transferkonferenz durch, hielten lokal ausgerichtete Workshops ab, führten Beratungsgespräche durch, diskutierten die Forschungsergebnisse immer wieder mit der Zukunftsagentur Brandenburg, einem Partner im Projektkonsortium, und veröffentlichten schließlich zentrale Handlungsempfehlungen in einer Broschüre für Praktiker/-innen. Die Dialoggruppen für diese und alle weiteren IRS-Forschungsthemen sind weit verästelt, die Debatten tun es ihnen gleich. Über ein breites Spektrum an unterschiedlichen Formaten Zugang zu diesen Debatten zu bekommen, ist ein wesentliches Ziel des IRS-Wissenstransfers.

Der Vergleich mit anderen Instituten der Leibniz-Gemeinschaft macht eines deutlich: Wissenschaftler/-innen des IRS melden keine Patente an, haben keine Kooperationsverträge mit der Wirtschaft und gründen keine Spin-Offs für die ökonomische Verwertung von Forschungsergebnissen. Stattdessen ist die Liste von Einladungen in Expertengruppen und Kommissionen, zu direkten Gesprächen mit Abgeordneten und Interessensvertreter/-innen, Transferveranstaltungen, Praxisprojekten, Gutachten und Experten, Transfervorträgen und forschungsnahen Dienstleistungen lang. Die Ergebnisse ihrer Forschungen in gesellschaftliche Debatten einbringen zu können und damit raumwirksame soziale Prozesse nicht nur zu analysieren, sondern auch gestalten zu können - dies ist im IRS die Definition von Impact. Durch die Dialoge hat theoria eine direkte Relevanz für praxi – ganz im Sinne von Leibniz.

Lesetipp: Dieser Artikel ist Teil einer Ausgabe des Institutsmagazins IRS aktuell zum Thema "Wissenstransfer"

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Die vorliegende Ausgabe von IRS aktuell widmet sich mit seinem Schwerpunktthema „Raumbezogene Forschung und Praxis im Dialog“ den Zielen, Strategien und Formaten des IRS-Wissenstransfers in die Gesellschaft. Dieser beruht auf einem Transferkonzept, das folgende Eckpunkte enthält: ein reflexives Verständnis von Wissenstransfer, Wissenstransfer als integraler Bestandteil der Forschungsplanung wie der Forschungspraxis des Instituts sowie ein beständiges Ineinandergreifen von Initiativen, die geplant ergriffen werden, und von Nachfragen nach der Expertise des IRS , die „von außen“ an die Wissenschaftler/-innen herangetragen werden. mehr Info