Verlust der Nacht. Ursachen und Folgen künstlicher Beleuchtung für Umwelt, Natur und Mensch (VdN)
Forschungsabteilung: Institutionenwandel und regionale Gemeinschaftsgüter
Forschungsthemen: Räumliche Pfadentwicklung und institutioneller Wandel
Projektleitung im IRS: Dr. Timothy Moss
Projektteam: Dr. Ute Hasenöhrl Katharina Krause
Förderorganisation: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Laufzeit: 05/2010 - 12/2013
Licht in seiner natürlichen wie in seiner künstlichen Spielart löst überwiegend positive Assoziationen aus. Das elektrische Licht gilt geradezu als Kennzeichen der (urbanen) Moderne und erfüllt eine Vielfalt gesellschaftlicher Funktionen (Sicherheit im öffentlichen Raum; vom Tageslicht unabhängige ökonomische und soziale Aktivitäten; Inszenierung von Waren, Gebäuden oder ganzen Städten). Trotz dieser positiven Errungenschaften mehren sich heute (wieder) kritische Stimmen, welche die negativen Effekte der Beleuchtung auf Menschen und Tiere, Stadtbild und Landschaft oder den Energieverbrauch monieren und eine Reduzierung der „Lichtverschmutzung“ anmahnen. Eine Veränderung heutiger Praxen und Politiken im Umgang mit dem künstlichen Licht erfordert einerseits fundierte Einblicke in dessen Wahrnehmung durch verschiedene Akteursgruppen sowie über deren Interessen und Handlungsspielräume. Andererseits sind genaue Kenntnisse über die Entstehung und Verbreitung bestehender Beleuchtungssysteme sowie über Genese, Kontinuität und Wandel der mit dem Phänomen des künstlichen Lichts verbundenen Symbolwerte, Interessenslagen und Governanceformen erforderlich.
Im Rahmen des interdisziplinären vom BMBF geförderten Forschungsverbundes „Verlust der Nacht. Ursachen und Folgen künstlicher Beleuchtung für Umwelt, Natur und Mensch“, der durch das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) koordiniert wurde, führte das IRS zwei Teilprojekte mit sozial- bzw. geschichtswissenschaftlicher Ausrichtung durch.
Das sozialwissenschaftliche Teilprojekt analysierte im Untersuchungsraum Berlin-Brandenburg gegenwärtige Interessenlagen und Problemwahrnehmungen zur „Lichtverschmutzung“ sowie Handlungsmöglichkeiten und -bereitschaft der relevanten Stakeholder für eine Minimierung der Lichtverschmutzung. Zum ersten Mal wurden Akteurskonstellationen um das künstliche Licht in unterschiedlichen Teilräumen untersucht: d.h. sowohl die Gestalter von Beleuchtungssystemen (Leuchtenhersteller, Energieversorger, Investoren, Werbebüros, Stadtplaner, Architekten etc.) als auch die Kritiker von Lichtverschmutzung (Umweltgruppen, Ökologen, Anwohner, Hobby-Astronomen etc.). Es galt festzustellen, inwieweit Bündnisse um das Thema Lichtverschmutzung, sog. „Advocacy Coalitions“, in der Region erkennbar sind, welche Interessen sie verfolgen und welche institutionellen Handlungsmöglichkeiten sie – mit oder gegen die „Lichtgestalter“ – im politischen Prozess besitzen, um eine Trendwende zugunsten ökologisch und gesundheitlich verträglicher Beleuchtungssysteme zu bewirken.
Die geschichtswissenschaftliche Studie nahm zum einen die historischen Gründe für die Attraktivität und Verbreitung des künstlichen Lichts im Untersuchungsraum Berlin-Brandenburg in den Blick. Dabei wurden insbesondere seine gesellschaftliche Funktionen – und damit die Interessenlagen der Akteure – beleuchtet. Zum anderen geht die Studie aber auch Brüchen und Ambivalenzen im Paradigma des künstlichen Lichts als Symbol der Moderne nach. Hierzu gehören etwa Reaktionen auf den Ausfall des Lichts, Proteste gegen Werbebeleuchtung in ländlichen Räumen, romantisierende Bilder der Nacht als Gegensatz zur (beleuchteten) Stadt oder die unterschiedliche Verwendung von Lichtinstallationen in Ost- und West-Berlin. Durch die Dokumentation positiver wie negativer Images von Nachtlandschaften trägt die Untersuchung zu einem auch räumlich differenzierten Bild der Wahrnehmung des künstlichen Lichts in historischer Perspektive bei, sensibilisiert für historisch entstandene Werthaltungen und Handlungsspielräume und identifiziert mögliche technische und weltanschauliche Pfadabhängigkeiten.
Fotos: Berlin aus dem Weltraum: ISS Image courtesy of the Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center (ISS035-E-17210), eol.jsc.nasa.gov, Berliner Fernsehturm: © R.-J. Lubbers