19. Juli | 2020

Neues Special Issue zu visueller Kommunikation in der Planung erschienen

Digitale Visualisierungen sind aus der Stadtplanung nicht mehr wegzudenken. Bauprojekte werden teils schon Jahre vor dem ersten Spatenstich mit immer realistischer erscheinenden 3D-Simulationen angekündigt. Doch was ist wirklich neu daran, wie heute, mit Hilfe digitaler Technologien, Zukunftsbilder von Städten erschaffen werden? Funktioniert Planung deshalb grundsätzlich anders? Mit diesen Fragen setzt sich das Special Issue “Visual Communication in Urban Design and Planning: The Impact of Mediatisation(s) on the Construction of Urban Futures” auseinander, das in der Fachzeitschrift “Urban Planning” (Open Access) erschienen ist. Als Guest Editors fungieren Gabriela Christmann, Christoph Bernhardt und Jörg Stollmann.

Die Inhalte des Sonderhefts beruhen zum Teil auf ersten Resultaten des dreijährigen Projekts „Mediatisierungsprozesse in der städtebaulichen Planung und Veränderungen der öffentlichen Sphäre (MedPlan)“, die auf der internationalen Tagung an der Technischen Universität Berlin zum Thema „Visual Communication in Urban Design and Planning“ am 26. und 27. September 2019 vorgestellt und diskutiert wurden.

Im Rahmen des MedPlan-Forschungsprojektes, welches durch den Leibniz-Wettbewerb finanziert wurde, arbeiteten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Chair for Urban Design and Planning (TU Berlin), der IRS-Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ und der Historischen Forschungsstelle des IRS zusammen. Sie gingen zum einen der Frage nach, welche Folgen neue informations- und kommunikationstechnische Möglichkeiten auf die räumliche Gestaltung in Städten haben und zum anderen wie sich Mediatisierungen von Planungsprozessen in der Vergangenheit analysieren und die Erkenntnisse daraus für die Gestaltung gegenwärtiger Prozesse nutzen lassen.

Den besonderen Stellenwert des Themenschwerpunkts macht aus, dass aktuelle Diskurse zu Mediatisierungsprozessen an der Schnittstelle interdisziplinärer Forschung aus Architektur, Geschichte, Stadtplanung, Soziologie und Humangeografie diskutiert werden. Auf der Grundlage der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Konzepte Mediatisierung und Digitalisierung und des soziologischen Ansatzes des Kommunikativen Konstruktivismus erweitert das Heft den konzeptionellen Rahmen und das traditionelle Verständnis von Visualisierungen. Visualisierungen werden nicht als bloße Repräsentation von Objekten verstanden, sondern als gestaltende Eingriffe in den Planungsprozess, der sowohl von denjenigen ausgeht, die Visualisierungen erstellen oder in Auftrag geben, als auch von denjenigen, die sie wahrnehmen und interpretieren. Neben der Akteursperspektive (wer handelt?) wird dabei der Blick auch auf die spezifischen Techniken und Umstände digitaler Kommunikation gerichtet.

Die einzelnen Beiträge thematisieren lokale Planungsvorhaben und nationale Planungskontexte wie auch transnationale Tendenzen praktischer Anwendung von Visualisierungen als innovative Medienformate. Untersuchungsbeispiele finden sich in Ägypten, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Südafrika. Die interdisziplinären Ansätze beleuchten den besonderen Stellenwert von Visualität im Zusammenhang von Mediatisierung und Digitalisierung mit zwei Hauptanliegen: Einerseits zeigen die Autorinnen und Autoren Visualisierungen als Prozesse der Decodierung, Verbildung, (Re)Produktion und kommunikativen Aushandlung von Räumen. Dabei werden zum einen die komplexen Akteurskonstellationen aus staatlichen, nichtstaatlichen Institutionen, gesellschaftlichen Initiativen, politischen Entscheidungsträgern, planerischen Verantwortlichen und wirtschaftlichen Unternehmen dargestellt. Zum anderen zeigen die Ansätze die Verbindung verschiedener Interessenlagen (common good, staatliche, privatwirtschaftliche, individuelle, planerische) auf, welche sich in den Abbildungen urbaner Zukunftsvorstellungen manifestieren und die visuellen Darstellungen mit Inhalten und Bedeutungen aufladen.

Zum zweiten diskutieren die Autorinnen und Autoren kritische Ansätze und Möglichkeiten zur Verwendung (digitaler) Visualisierungstools in der Stadtplanungspraxis und die sich wandelnde Rolle von Planenden als Produzenten von Visualität.

Die Beiträge zeichnen sich durch eine Bandbreite von qualitativen, quantitativen und mixed-methods Ansätzen aus, mit der unterschiedlichste Visualisierungsformen (analog, digital, multimedial sowie Audio und Video) und Beteiligungsformate (citizen science, e-Partizipation, Apps, Videos, analoge Foren) ausgewertet wurden. Die Beispiele reichen von Neubauplanungen ganzer Hauptstädte, Vororte oder Wohngebiete bis hin zur Rekonstruktion und dem Umgang mit historischen Baubeständen. Visualisierungen kommt die Aufgabe bzw. Funktion zu, einerseits historische Kontexte und Strukturen zu reproduzieren und (wieder) präsent zu machen, andererseits gesellschaftliche oder interessengeleitete Visionen urbaner Zukünfte zu produzieren und abzubilden.

Christoph Bernhardt und Kathrin Meißner beleuchten in ihrem Beitrag die Rolle neuer kommunikativer, visueller Strategien im politisch-gesellschaftlichen Kontext der Planungskulturen der 1970er und 1980er Jahre. Tino Mager und Carola Hein demonstrieren ebenfalls die Bedeutung historischer Stadtplanung für die Gegenwart, indem sie historische Fotografien des Amsterdamer Stadtraums durch digitale Technologien und den Ansatz der Citizen Science als App für Stadtbesuchende erfahrbar machen. Den Einfluss von computer generierten Abbildungen als Instrument neoliberaler Stadtentwicklung beleuchtet Watson anhand internationaler Grundstücksökonomie in Afrikanischen Megacities. In einem ähnlichen Ansatz demonstrieren Mennatullah Hendawy und Jörg Stollmann, inwieweit die ägyptischen öffentlichen Diskurse zu Stadtentwicklung und Stadtplanung von Immobilienwerbung dominiert werden und die Bedürfnisse der Bevölkerung ausklammern. Sebastian Weise, Alexander Wilson und Geoff Vigar verstehen demgegenüber Visualisierungen als visuelle Repräsentationen wahrgenommener Realität; und veranschaulichen anhand britischer Fallbeispiele Tools kommunikativer, partizipativer Stadtplanung. Ebenfalls Partizipationsprozesse erläutern Ajit Singh und Gabriela Christmann, allerdings mit Blick auf die Abbildung von Geräuschen in öffentlichen Räumen auf Online-Plattformen als Teil eines Berliner Projekts zur Bürgerbeteiligung. Joachim Åström wiederum macht auf die Akteursbeziehung zwischen Planenden und Bürger*innen aufmerksam, indem Vertrauen maßgeblich die Kommunikation, Implementierung und gesellschaftliche Akzeptanz von staatlichen Vorhaben bestimmt.

Das Special Issue kommt zu dem Schluss, dass Mediatisierungs- und Digitalisierungsprozesse die Stadtplanung dahingehend signifikant verändert haben und weiterhin beeinflussen, wie urbane Visionen visuell dargestellt und kommunikativ konstruiert werden. Anhand der verschiedenen Beiträge wurden die Kontextabhängigkeit und die zum Teil gegenläufigen Entwicklungen visueller, digitaler Instrumente aufgezeigt und die Notwendigkeit für weitere Forschung in diesem disziplin- und raumübergreifenden Feld betont.